Die nötigen Brücken zu Angehörigen bauen

Grußwort von Prof. Andreas Heller anlässlich des Symposiums "Beziehungsweise. Frauen in der Betreuung und Pflege von Angehörigen mit Demenz" am 22.10.08:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen im Forum!

Zunächst gratuliere ich ganz herzlich zu dieser Veranstaltung, die das Thema Angehörige, erst recht in dieser Vielfältigkeit und Fokussierung aufnimmt.

1. Wir sind ja alle Angehörige, uns gehören Menschen an, wir hängen an anderen, was manchmal erst in den Phasen besonders spürbar ist, wo die Zerbrechlichkeit und Gefährdung unserer Beziehungen deutlich wird, etwa als Söhne und Töchter, als Partner und Partnerinnen; manchmal gehören wir auch nur irgendwie dazu, sind also „Zugehörige“ vielleicht nicht weniger gefühlsmäßig beteiligt, und müssen uns orientieren, herausfinden, was unsere Rolle ist ... wie wir Halt finden, um halten bzw. auch loslassen zu können

2. Wir können uns nicht oder nur schwer auf diese Rolle als Angehörige vorbereiten, sie entsteht ja oft erst in der Krise, bis dahin sind wir in anderen Rollen. Die Krise, die gesundheitliche Verschlechterung eines mit uns verbundenen Menschen machen uns radikal zu Angehörigen. Wir wissen aus Untersuchungen, zu denen ja nicht wenig die Referierenden des heutigen Tages beigetragen haben, dass Angehörige wärme- und orientierungs- in jedem Fall beziehungsbedürftige Menschen sind, sie brauchen Informationen und Beziehungen, also Bezugspersonen und Kontinuitäten. Wir wissen, dass Angehörige immer wieder schwanken zwischen dem Gefühl „im Ungewissen zu sein„ und „Gewissheit zu haben“ (Giovanna Jenni).

3. Aber kann man sich überhaupt vorbereiten darauf eines Tages Angehöriger zu werden? Das Leben ist individuell, das Sterben läuft nicht nach Schema, ist manchmal fürchterlich banal und auch die Pathways der modernen Palliativversorgung schaffen es lediglich die Sterbeverläufe elektronisch am Bildschirm zu vereinheitlichen. Menschen halten sich nicht an die modularisierten Regeln, Ambivalenzen bleiben. Wir wissen auch, dass die Welt des Pflegeheims, die Frauenwelt Pflegeheim (Elisabeth Reitinger et al) oft fremd und unvertraut für Angehörige ist, dass es sehr verschiedene Motivationen gibt, hier regelmäßig hineinzugehen oder dies auch systematisch zu verweigern. Den Profis kommt es
zu, Brücken zu bauen und bestimmten vorschnellen Verführungen zu widerstehen. Eine Verführung sehe ich darin, Angehörige ins Heim integrieren zu wollen, möglicherweise sogar ins Team. Eine andere besteht darin, sie zu therapeutisieren oder auch verehrenamtlichen. Es entspricht meines Erachtens dem Eigensinn und dem Recht der Angehörigen, betroffen sein zu dürfen und nicht zu schnell in die Funktionalität eines Versorgungsalltags hinüber zu gleiten. Angehöriger zu sein ermöglicht in der „flüchtigen Moderne“ (Zygmunt Bauman) den Alltag zu unterbrechen, da zu sein und eine eigene Art der Präsenz, der Aufmerksamkeit zu entwickeln, für den und die Andere - aber auch für sich selbst. Solche Situationen sind von einer radikalen, fast möchte man sagen manchmal bodenlosen Unsicherheit gekennzeichnet. Geschichte und Geschichten werden lebenig und präsent. Beschleunigung, Hektik, Aktionismus können Bewegungen sein, uns wieder aus dieser Präsenz und voneinander zu entfernen. Innehalten ist schwer, auf sich zu schauen, die eigene Bedürftigkeit zu erkennen, Hilfe beanspruchen, geht uns Männern nicht leicht von den Lippen. Und gerade darin liegt ein Stück Humanität, die Einsicht, dass wir aufeinander angewiesen sind und verwiesen sind, dass wir nicht in der dünnen Luft unserer Autonomie ersticken, sondern aufgehoben sind in solidarischen Beziehungen. Ich denke die Heime brauchen die Angehörige auch als Brücke in die Gesellschaft, in Öffentlichkeiten hinein, um transparent zu werden oder zu bleiben. Auch wenn es immer wieder eine Herausforderung bildet, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es die Angehörigen ja nicht im Singular gibt, dass wer einem Angehörigen die Hand gibt sich ganze Familien, bzw. multiple Familienfragmente einhandelt. Manchmal bleibt angesichts des Todes für uns Angehörige das Gefühl, dass unser Leben miteinander nicht rund und abgeschlossen ist, dass etwas offen geblieben ist und wir als Angehörige einander etwas, vielleicht sogar uns selbst schuldig geblieben sind.
4. Es darf in diesem Haus daran erinnert werden, dass in der jüdisch-christlichen Tradition, die Anerkennung des Menschen in seiner Gebrochenheit und Fragementarität und der Glaube daran, in einem größeren Ganzen aufgehoben zu sein, die Würde des Menschen konstituiert.

Ich wünsche Ihnen einen begegnungsreichen und Zuversicht stiftenden Tag.

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