Verwirrt in der Fremde: Migraten & Demenz

[...] Die Zahl der Demenzkranken hierzulande, die nicht oder nur schlecht deutsch können, steigt rapide an. Der geistige Verfall ist eine typische Alterserkrankung, und die Zahl der Migranten über 65 Jahre wird sich in den nächsten zehn Jahren in einer Stadt wie Berlin verdoppeln. Heute leben in Deutschland mehr als 15 Millionen Menschen mit „Migrationshintergrund“. Viele der „Gastarbeiter“, die in den sechziger oder siebziger Jahren einwanderten, wollten eigentlich nicht bleiben. Nun werden sie doch in Deutschland alt.

Gerade diese Menschen leiden häufig schon in jüngeren Jahren an Altersleiden. Denn viele der Einwanderer haben körperlich anstrengende Jobs gemacht, Schichtarbeit und Fremdheitsgefühle haben sie auch psychisch belastet. „Die Migranten, bei denen wir kognitive Beeinträchtigungen diagnostizieren, sind im Schnitt zehn Jahre jünger“, sagt der Psychiater Murat Ozankan, der im Krankenhaus Langenfeld bei Köln eine Migrantenambulanz leitet. Außerdem ist die Vorstellung verbreitet, Demenz sei ein Schicksal, für das man sich schämen müsse. „Die Krankheit ist stigmatisiert, vor allem türkische Familien schotten sich oft ab“, sagt die Psychologin Fatma Sürer vom Bezirkskrankenhaus in Augsburg. In der Türkei wird zwar zunehmend über die Krankheit aufgeklärt – doch von solchen Entwicklungen seien die meisten älteren Türken, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, abgeschnitten. Noch dazu führt der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses sie emotional eher an Ort und Zeit ihrer Kindheit zurück. Das liegt in der Natur der Krankheit.

Andererseits leben sie in Deutschland schon längst nicht mehr in der Geborgenheit eines großfamiliären Netzwerkes. „Die Annahme, dass der Zusammenhalt in türkischen Familien enger sei, hat sich nicht bestätigt“, sagt Filiz Küçük, die gerade an der Berliner Alice-Salomon-Fachhochschule eine Arbeit dazu abgeschlossen hat. Die Töchter, Söhne und Enkel der Demenzkranken, die Küçük befragt hat, klagten ebenso wie deutsche Angehörige in vergleichbaren Studien über zeitliche Beanspruchung und soziale Isolation. Die Hälfte von ihnen litt darüber hinaus unter Konflikten innerhalb der Familie. „Wenn es hart auf hart kommt, kommt es auch in türkischen Familien zu Brüchen.“ Obwohl alle Interviewpartner gut deutsch sprachen, wünschten sie sich muttersprachliche Berater. Psychiater Ozankan möchte die Familien gerne ermutigen, auch die deutschsprachigen Angebote anzunehmen. Dabei würde es allerdings helfen, wenn wenigstens in der ersten Anlaufstelle jemand ihre Muttersprache spreche.

Gerade in der Hauptstadt gibt es schon eine Menge Initiativen für Migranten, wie türkische Tagespflege und ein türkisches Pflegeheim (siehe Kasten). Beim Informationszentrum „Idem“ gibt es zum Beispiel eine Beratung in mehreren Sprachen. „Wir gehen auch in Moscheen und berichten darüber, dass Alzheimer keine Strafe Gottes ist und welche Hilfen man in Anspruch nehmen kann“, sagt Idem-Mitarbeiterin Derya Wrobel.

Viele Dinge sind eben in Istanbul nicht anders, nicht leichter und nicht schwerer als in Köln oder Berlin. „In den ersten Jahren kann die Wahrnehmung des eigenen Krankseins zur Beschämung führen, oft ist sozialer Rückzug die Folge, die Menschen werden manchmal auch wütend oder depressiv“, berichtet Alexander Kurz, Psychiatrieprofessor an der Technischen Universität München. Und das geht auch Patienten so, die in der deutschen Kultur aufgewachsen sind. Doch gerade in dieser frühen Phase könnten die Betroffenen noch über ihre Zukunft mitentscheiden und offen mit der Alzheimer-Erkrankung umgehen – so wie der Unternehmer Christian Zimmermann das tut. „Die Gemeinheit besteht darin, ihnen diese Möglichkeit nicht zu geben, weil die Diagnose zu spät kommt“, sagt der Demenz-Experte.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 13.10.2008)
Quelle und Volltext:
http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/gesundheit/Alzheimer;art300,2634786

Berlin: Telefon-Beratung für Angehörige von Demenzkranken & Studie

Mit einem bundesweit einzigartigen "Telefon-Tandem" wollen Psychologen der TU Berlin die Angehörigen von Demenzkranken besser unterstützen. Das just angelaufene "Leuchtturmprojekt Demenz" setzt auf telefonische Beratung für die oft überlasteten Familienmitglieder, die Kranke zu Hause pflegen. "Wir suchen insgesamt mindestens 100 Teilnehmer", sagt Prof. Gabriele Wilz, Leiterin des TU Instituts für Psychologie und Arbeitswissenschaft. Es gehe darum, die Lebensqualität der Pflegenden zu verbessern, ihre seelischen und körperlichen Beschwerden zu mindern und den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern.

Das "Telefon-Tandem" läuft über drei Monate, beginnend und abschließend mit einem zweistündigen Gespräch über die jeweilige Situation. Dazwischen gibt es ausführliche telefonische Beratungen in regelmäßigen Abständen. "Bei Gruppentherapien haben viele Angehörige Schwellenangst, ein solches Angebot überhaupt anzunehmen. Außerdem fehlt ihnen häufig schlicht die Zeit dazu - schließlich können sie demente Verwandte eigentlich nie allein lassen", sagt Wilz. 70 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Frauen. Aber auch Männer aus dem Raum Berlin/Brandenburg sind aufgerufen, bei dem Projekt mitzumachen.

Die Teilnehmer der Studie, die vom Bundesgesundheitsministerium bis 2010 gefördert wird, werden nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen eingeteilt: Sie erhalten entweder die "Telefon-Tandem"- Betreuung, eine Anleitung in Entspannungsmethoden oder Informationen über herkömmliche Hilfsangebote wie Selbsthilfegruppen oder Gedächtnissprechstunden. Anschließend werden die durch Fragebögen dokumentierten Ergebnisse miteinander verglichen. "Wir erwarten von unserem Projekt, dass die Angehörigen lernen, besser mit Problemen umzugehen, die sich während der Pflege ergeben, und auch den Anstoß bekommen, sich selber Hilfe zu holen. Letztlich wird sich das auch positiv auf den an Demenz erkrankten Patienten auswirken", sagt Wilz.

Interessenten können sich an der TU bei Katrin Große (Tel. 314-29440, Mo und Di 14-16 Uhr) und Daniela Walter (Tel. 314-29437, Mo und Di 10-12 Uhr) anmelden.

Quelle: http://www.welt.de/welt_print/article2534955/Technische-Universitaet-informiert-Angehoerige-ueber-Altersdemenz.html

Die Belastung Angehöriger (Symposiums-Tipp!)

Auszug aus einem Artikel aus der Kleinen Zeitung (http://steiermark.orf.at/stories/312751/) anlässlich der Familientragödie in der Steiermark Anfang Oktober, bei der ein pflegender Mann siene Schwiegereltern mit einer Gasflamme tötete:

"Wie belastend ist die 24-Stunden-Pflege für die Angehörigen? Wie viele von ihnen gehen tagtäglich an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und oft darüber hinaus? Eine Recherche bei den zuständigen Sozialstellen zeichnet ein düsteres Bild.
[...]
Geschätzte 25.000 Personen werden ohne jegliche Hilfe von außen zu Hause von den Angehörigen betreut - hier muss man allerdings auch eine gewisse Dunkelziffer mitrechnen, von Familien, die auf Grund der angespannten finanziellen Situation illegale ausländische Pfleger beschäftigen.

Großteil der Last tragen Frauen
Zu 98 Prozent wird die Pflege zu Hause von Frauen übernommen: Töchter, Ehefrauen, Schwiegertöchter sind meist rund um die Uhr für die Angehörigen da - eine enorme psychische Belastung, sagt Gabriele Rossmann, Leiterin des Sozialzentrums Deutschlandsberg: "Das größte Problem ist immer wieder die Abgrenzung mit den zu Pflegenden, wenn das die eigene Mutter, Vater, Schwiegereltern etc. sind. Können sie einmal das Haus verlassen, dürfen sie für eine Zeit lang das von jemand anderem einfordern, und das erzeugt massive Schuldgefühle". "

Den Rollen und Belastungen von Frauen in der Pflege von Angehörigen mit Demenz widmet sich auch das Symposium "Beziehungsweise" am 22.10.08 im Kardinal König Haus.
Details im pdfBeziehungsweise (pdf, 113 KB). Anmeldung und Infos: kursanmeldung@kardinal-koenig-haus.at

Validation erleichtert Umgang mit Demenzkranken (Lehrgang startet!)

Die Presse schreibt am 5.10. über die Validation als Methode zur effizienteren Kommunkation mit Menschen mit Demenz:

Erleichterung für Betroffene und Betreuer vermag die von der amerikanischen Gerontologin Naomi Feil entwickelte Validation zu schaffen. Es handelt sich dabei um eine spezielle Form der Kommunikation, die auch eine menschlich wertschätzende Haltung gegenüber Demenzkranken vermittelt und ihnen die Möglichkeit bietet, ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen, ihre Würde wiederzuerlangen und ihren Lebensabend glücklich zu verbringen. „Empathie und Mitgefühl funktionieren immer“, betonte die heute 77-jährige Feil[...]
Quelle: http://diepresse.com/home/gesundheit/420070/index.do?from=suche.intern.portal

Am Kardinal König Haus startet auch heuer (Beginn 24.10.2008) ein Lehrgang Validation , der vor allem für Nicht-Professionelle Anwender, also Angehörige, Ehrenamtliche und am Thema generell Interessierte konzipiert ist.

Details unter:
http://www.kardinal-koenig-haus.at/prog_hosp.php

Caritas Socialis eröffnet 2 neue WGs für Menschen mit Demenz (Wien

Die Wohngemeinschaft ist eine neue Wohnform für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf auf Grund einer Demenzerkrankung. Im Frühling wurden in Liesing österreichweit die ersten derartigen Wohn- und Betreuungsmodelle von der Caritas Socialis in Zusammenarbeit mit der Stadt Wien errichtet. Gesundheits- und Sozialstadträtin Stadträtin Mag.a Sonja Wehsely eröffnete gestern, Montag, gemeinsam mit dem Floridsdorfer Bezirksvorsteher Ing. Heinz Lehner und Mag. Robert Oberndorfer MBA, dem Geschäftsführer der Caritas Socialis, zwei weitere spezialisierte Wohngemeinschaften. Mit der Eröffnung der Wohngemeinschaften in der Brünnerstraße stehen an Demenz erkrankten Wienerinnen und Wienern insgesamt 31 Wohngemeinschaftsplätze dieser zukunftsweisenden Betreuungsform zur Verfügung. "Damit hat sich die Wohngemeinschaft als neue Betreuungsmöglichkeit für Alzheimer-PatientInnen etabliert.
Sie erweitert das umfassende Angebot für demenzkranke Menschen in
Wien um eine weitere Facette", strich Wehsely hervor

"Die Wohngemeinschaft für demente Menschen ist ein zukunftsweisender Schritt in der spezialisierten Betreuung Alzheimer erkrankter Menschen. Dank der Unterstützung der Stadt Wien bringt dieses zukunftsweisende Modell mehr Lebensqualität für die Wienerinnen und Wiener", freut sich Mag. Robert Oberndorfer, Geschäftsführer der Caritas Socialis.

In den Wohngemeinschaften in der Brünnerstraße 238a leben zwei Gruppen zu je acht Menschen in einem familienähnlichen Umfeld in zwei adaptierten Wohnungen zusammen. Die WGs wurden nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Alzheimer- bzw. Demenzforschung
konzipiert: Schattenarme Beleuchtungskonzepte fanden ebenso Eingang wie das Pflegemodell Mäeutik. Höchstmögliche Wohn- und Lebensqualität für die BewohnerInnen mit professioneller 24-Stunden-Betreuung bei größtmöglicher Selbständigkeit und Alltagsnähe - das sind die Säulen
dieser neuen betreuten Wohnform. Die Stadt Wien förderte die Errichtung der Wohngemeinschaft mit 270.000 Euro und auch die Pflegeplätze selbst werden finanziell unterstützt.

Quelle und Volltext:
*** OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT ***

OTS0088 2008-10-07/11:08

Demenzkoffer und Preis für Jugendliche (D)

Die Initiative Vergissmeinicht - Leben mit Demenz setzt einen Schwerpunkt bei der Aufklärung Jugendlicher. So steht ein Demenzkoffer speziell für die Auseinandersetzung von Schulklasse, Firmgruppen etc. zur Verfügung. Außerdem wird ein Preis für die Auseinandersetzung mit dem Thema vergeben:


Mit dem Alzheimerpreis-2009 möchten wir den Einsatz des Demenzkoffers belohnen. Wir möchten wissen, welche Erfahrungen Jugendliche mit dem Älter werden und Demenz machen:

Wie stellen Jugendliche sich das Alter und Demenz vor?
Wie könnte das Leben für Ältere und Menschen mit Demenz in Zukunft aussehen?
Wie und in welcher Form findet Begegnung zwischen Jugendlichen und Älteren/Menschen mit Demenz statt?
Wie kann man gemeinsam Spaß haben?
Was kann man gegenseitig voneinander lernen?
Wo ist welche Hilfe nützlich?
...

Eingereicht werden können Projektideen, Aktionen und Eindrücke in Form von selbstgefertigten Textbeiträgen, Hörspielen, Filmen, Musikstücken, Präsentationen, Postern, Fotos,...

Mehr & Quelle:
http://www.vergissmeinnicht-sh.de/index.php?seite=wettbewerb&sehhilfe=

Jugendkino zu Demenz (Münster/D)

Über eine (nachahmenswerte?) Initiative für Jugendliche anlässlich des Welt-Alzheimertages 2008 berichtet das Stadtmagazin Echo Münster:

Große Resonanz auf das Angebot anlässlich des Welt-Alzheimertages und der Woche des Bürgerschaftlichen Engagements: Schon 145 Schüler haben sich zum Schulkino-Tag zum Thema "Demenz" angemeldet.

Veranstalter sind die Projektgruppe "Verantwortung lernen", das gerontopsychiatrische Zentrum und das Cinema. Gezeigt wird am 22. September um 11 Uhr im Cinema, Warendorfer Straße 45-47. der Dokumentarfilm „Apfelsinen in Omas Kleiderschrank“. Er informiert umfassend und einfühlsam über das Krankheitsbild Demenz und gibt viele Beispiele, wie es gelingen kann, junge Menschen und Demenzkranke zusammenzubringen, so dass beide Seiten davon profitieren. Fragen werden im Anschluss an den Film von Fachfrauen beantwortet. Darüber hinaus soll über Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements von Jugendlichen informiert und sich ausgetauscht werden.

Da sich bisher bereits 145 Schüler angemeldet haben, ist noch ein Zusatztermin am 21. Oktober ins Auge gefasst.

Quelle: http://www.echo-muenster.de/node/43411

Buchtipp: Demenz in der stationären Pflege

Rund 677 000 Menschen leben derzeit in Pflegeheimen, zwei Drittel von ihnen leiden an einer Demenz.

In Baden-Württemberg ist eine groß angelegte Studie mit mehr als 5000 Patienten in 58 Einrichtungen zur Versorgung und Lebensqualität initiiert worden.

Schäufele, Martina u.a.: Demenzkranke in der stationären Altenhilfe.
Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2008, 176 Seiten, Euro 27,00

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